Wolf Maahn im Interview über Protest im deutschen Rock’n Roll
Es sollten nur ein paar Fragen zu einem Artikel werden, den „Rolling Stone“ Journalist Joachim Hentschel für „Spiegel-Online“ schrieb. Anlaß war das 20. Jubiläum des legendären „Anti-Waahnsinns“ Festivals in Burglengenfeld bei Wackersdorf. Das Konzertereignis von 1986 war mit über 120.000 Besuchern das zweitgrößte Festival, das jemals in Deutschland stattfand und hatte landesweit politische Bedeutung. Wolf Maahn spielte am Schluß seines Sets die Live-Premiere seines Songs „Tschernobyl – Das letzte Signal“ mit Chor-Unterstützung von Wolfgang Niedecken, Herbert Grönemeyer, Purple Schulz, Marian Gold und anderen. Da Hentschel über den aktuellen „Spiegel-Online“ Artikel hinaus für eine umfangreichere Arbeit zum Thema „Protest im deutschen Rock’n’Roll“ recherchiert, wurde ein doch ausführlicheres Interview mit Wolf Maahn daraus, welches Ihr hier in voller Länge lesen könnt.
Frage: Es fällt auf, dass der plötzliche (auch kommerzielle) Boom deutschsprachiger, oft engagierter Rockmusik in den Achtzigern zeitlich mit dem Aufkommen der bürgerlichen Protestbewegung zusammenfällt. Ist das Zufall? Könnte es einen Zusammenhang geben?
WM: Nein, glaube ich nicht. Die Protestbewegung hat sich schon in den 60ern angebahnt. Sie stand natürlich in einer starken Wechselwirkung mit Rockmusik, englischer Rockmusik. Immer mehr sangen nicht nur Sachen wie „Hey! Ich habe neue Wildlederstiefel und treff’ gleich mein Baby!“, sondern auch Sachen wie: „Hey! Krieg? Wozu soll das gut sein?“ Daß hier irgendwann Hemmungen fielen auch in Deutsch zu singen, hat für mich eher mit den Nachwirkungen von Punk zu tun.
Hatten Sie im Vor- und Nachfeld der "Tschernobyl"-Single schon Kontakt zu Bürgerinitiativen gegen AKWs und WAA?
Vorher nicht, eher zur gemütlichen Kölner Hausbesetzer-Szene. Nachher schon. Ich habe noch weitere Solidaritätskonzerte gespielt. Eins in der Nähe von Gorleben. Es hieß: „Stay Rude - Stay Rebel“.
Woher kam seinerzeit die Einladung zum WAAhnsinn-Festival? Haben Sie gleich zugesagt? Klar! Ich hatte doch gerade diesen Song aufgenommen und es paßte alles zusammen. Der Impuls für „Tschernobyl“ war ein Instinkt. Meine Stadt war gerade vergiftet worden. Ich mußte mich wehren. Ich brauchte eine Waffe. In ein paar Sekunden war der Refrain fertig. Dann bin ich strategisch vorgegangen. Ich wollte eine Hitsingle mit größtmöglicher politischer Durchschlagskraft und der Text sollte Klartext reden. Ich fragte Wolfgang Niedecken, Herbert Grönemeyer und andere Kollegen ob sie mitmachen. Ich nahm auch noch einen Kinderchor auf und mischte es 40 Stunden lang ab. Ein Protestsong zu dem man tanzen konnte, der dann auch in den Diskotheken lief. Eine für deutsche Kritiker-Ohren gewagte Mischung und die Radiosender setzen ihn auf den Index. Eine Redakteurin spielte ihn trotzdem und wurde fast entlassen. Es wurde trotzdem ein Hit.
Der Protest in Wackersdorf/Burglengenfeld wie auch der Festival-Veranstalterkreis hatte mit explizit politischen Gruppen ja offenbar nichts zu tun. Stimmt der Eindruck? Haben Sie Versuche beobachtet, den Protest parteipolitisch zu instrumentalisieren?
Der Veranstalterkreis waren örtliche Bürgerinitiativen, die zogen das Festival schon seit Jahren durch. Durch die Katastrophe von Tschernobyl bekam das dann diese unglaubliche Dimension. Über 100.000 Menschen trafen sich mitten in der Pampa, man konnte sie gar nicht mehr zählen. Es war mit das beeindruckendste Festival, das ich je erlebt habe. Es hat sicher auch Politiker in allen Parteien beeindruckt. Aber leider nicht genug um den Ausstieg zu beschließen. Wer weiß, ob heute der Iran damit hantieren würde und Kernkraft dort als so fortschrittlich gelten würde, wenn das Spitzentechnologieland Deutschland in den 80ern den Ausstieg beschlossen hätte. Das wäre ein starkes Signal für die Schwellernländer gewesen.
Hatten Sie an den Festivaltagen Begegnungen mit der Polizei?
Nein, keine besonderen Vorkommnisse
Wie war vor Ort der Kontakt zu den Organisatoren bzw. zu den Besuchern des Festivals?
Es war beeindruckend für mich zu sehen, daß die Bevölkerung vor Ort geschlossen hinter dem Festival stand. Das Festival und der Protest war nicht die Kopfgeburt irgendeiner politischen Gruppe, es kam mitten aus dem Volk, aus all diesen Dörfern.
War das für Sie ein besonderer Auftritt? Hatten Sie sich besondere Ansagen/Gesten/Programmpunkte zurechtgelegt? Was ist ihre einschneidendste Erinnerung?
Bei den Schluß-Refrains sangen fast alle anwesenden Künstler mit und schließlich auch das Publikum. Wir standen da auf der Bühne vor einer unfaßbaren Menschenmenge. Und ich dachte: Da bewegt sich wirklich was, mehr als wir gerade sehen.
Man hört, dass es hinter den Kulissen Streit zwischen BAP und Grönemeyer gab. Waren Sie irgendwie darin verwickelt? Gab es sonst noch Schwierigkeiten unter den Künstlern?
Komischerweise überhaupt nicht. Das ganze Festival lief absolut friedlich ab. Wir waren am Vortag mit Wolfgang Niedecken angereist und haben dann mit anderen vor Ort gemeinsame Songs geprobt. Es kam eine Art familiäre Stimmung auf, die sich Backstage durch das gesamte Festival zog. Die Querelen im Vorfeld, unter anderem wegen dem Plakat, waren wie weggeblasen. Es herrschte eine Solidarität unter den Künstlern, die ich so nicht wieder erlebt habe. Ein Erlebnis, das wohl kaum einer der Beteiligten missen möchte. Wir haben uns in den Dienst von etwas gestellt, das größer war als wir. Das Festival war die Top-Meldung in den Nachrichten. Es gab Sondersendungen und Reportagen. In Umfragen danach sprach sich die Mehrheit der Deutschen gegen Kernkraft aus.
Erinnern Sie sich an besondere Begegnungen/Unterhaltungen? Haben Sie z.B. Künstler kennengelernt, die Sie vorher nicht kannten?
Ich habe mich z.B. mit Rio Reiser angefreundet und später einiges mit ihm zusammen gemacht. Ich hab mich immer sehr gefreut ihn zu treffen. Mit ihm konnte man Pferde stehlen. Es gibt nicht viele von der Sorte. Und er war ein begnadeter Poet. Es gibt Momente, wo ich ihn schmerzlich vermisse.
Wenn so ein Festival heute stattfinden würde: Würden Sie irgend etwas anders machen?
Mein Auftritt war o.k. Aber ich wäre heute besser. In 20 Jahren sollte man ja schon was dazugelernt haben. Ansonsten wäre das bei dem Motto heute eine überschaubare Veranstaltung. Wenn, dann wäre die globale Erwärmung heute das brennendere Thema. wobei einige da jetzt Atomkraft als Gegenmittel anpreisen. Damit hätten wir dann Seuchenbekämpfung mit einer Zeitbombe. Ich finde da fängt man besser beim öffentlichen Nahverkehr an.
Noch grundsätzlicher: Wäre ein solches solidarisches, engagiertes Festival in der deutschen Pop-Szene heute noch machbar?
In den 90ern wurde es in Deutschland extrem uncool Solidaritätskonzerte zu spielen. Sowas machten doch nur Gutmenschen mit Betroffenheitsfimmel. Ich habe mich gewundert wie viele Körbe ich bekam als ich ’96 selber ein großes Benefiz für „War Child“ initiiert habe. Und das obwohl MTV und WDR schon mit an Bord waren und auch Die Fantastischen Vier. Wir schafften immerhin 9000 Leute, aber das Thema Bosnien war nicht einfach zu vermitteln. So langsam regt sich jetzt wieder was. Live 8 war ein starker Impuls, auch für Deutschland. Aber es blieb zu sehr im Entertainment, im Feuilleton. Irgendwie dachte man: Geile Musik, den Rest macht der Bono schon. Vielleicht passiert es so richtig nur dann, wenn gesellschaftlich ein Thema hochkocht, was uns alle unmittelbar bedroht. Ein Thema was Solidarität fordert.
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